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04 Sep 2019
Reisen bedeutet erfahren, fühlen, bewegen, aufzulesen, was am Wegesrand sich herumtreibt. Surya, unser Fahrer und Guide war perfekt darin, unsere individuellen Wünsche möglich zu machen, kümmerte fürsorglich um alle Belange. Es sind die großen und die kleinen Begegnungen, die Menschen und die entsprechenden Situationen, die einen tiefen Eindruck hinterlassen und im Gedächtnis bleiben. Weil es immer etwas zu staunen gibt, wir überrascht werden, enttäuscht werden und die Spielregeln nie offen auf der Straße liegen. Eigentlich war das wie großes Kino.. Surya Dutt krabbelte mit uns in kleinen Seitengassen, half beim Entdecken großer und kleiner Erlebnisse, zeigte uns die Hütten, Werkstätten oder Töpfereien der einfachen Leute und gleichermaßen die großen Welterbestätten. Wir haben schon viel von der Welt gesehen, aber selten erfuhr man eine derart private und dennoch professionelle Betreuung. Surya verfügt über ein außerordentliches Wissen der Kultur, Politik und indischen Gesellschaft. Die Gespräche mit ihm waren bewusstseinserweiternden. Selten erfährt man von einem Guide derart weit gefächerte Informationen. Eine besonders nette Anekdote war der Vorfall mit den Schokoriegeln: wir kauften 4 Snickers zu je 10 Rupien. Als Surya das erfuhr, lief er zum Händler zurück und verlangte den überzahlten Betrag zurück, weil der Typ uns die Riegel zu teuer verkauft hatte. Das Gehirn ist ein plastisches, flexibles Organ, es verändert sich gemäß seiner Beanspruchung. Unter dem Dauerfeuer der Impulse bahnten sich »Erlebnispfade« durch das Hirn, die uns immer erhalten bleiben. Dieser Mann war so perfekt wie die reinste Natur.
Surya wurde nicht nur unser vertrauensvoller Fahrer, sondern auch Guide, Lehrer, Kartenkäufer, Aufpasser und Vorkoster. Von keinem anderen Menschen erfuhren wir solcherart umfassende Kenntnisse über die indische Kultur, Politik, den Straßenverkehr oder das komplexe Gebilde des Kastensystems, die Unterkasten und ihre Besonderheiten. Wir fuhren durch Uttar Pradesh in die „rosarote Stadt“ Jaipur in Rajasthan. Surya zeigte uns das Taj Mahal, Tempel und Welterbestätten, die ockerfarbenen Palastmauern des Amber Fort, das dreihundert Jahre alte Observatorium und einiges mehr. Das Durchfahren des Landes war für sich genommen, bereits eine abenteuerliche Reise.
Der Straßenverkehr bildete eine gleichzeitig gottlose wie unnatürl
Reisen bedeutet erfahren, fühlen, bewegen, aufzulesen, was am Wegesrand sich herumtreibt. Surya, unser Fahrer und Guide war perfekt darin, unsere individuellen Wünsche möglich zu machen, kümmerte fürsorglich um alle Belange. Es sind die großen und die kleinen Begegnungen, die Menschen und die entsprechenden Situationen, die einen tiefen Eindruck hinterlassen und im Gedächtnis bleiben. Weil es immer etwas zu staunen gibt, wir überrascht werden, enttäuscht werden und die Spielregeln nie offen auf der Straße liegen. Eigentlich war das wie großes Kino. Surya Dutt krabbelte mit uns in kleinen Seitengassen, half beim Entdecken großer und kleiner Erlebnisse, zeigte uns die Hütten, Werkstätten oder Töpfereien der einfachen Leute und gleichermaßen die großen Welterbestätten. Wir haben schon viel von der Welt gesehen, aber selten erfuhr man eine derart private und dennoch professionelle Betreuung. Surya verfügt über ein außerordentliches Wissen der Kultur, Politik und indischen Gesellschaft. Die Gespräche mit ihm waren bewusstseinserweiternden. Selten erfährt man von einem Guide derart weit gefächerte Informationen. Eine besonders nette Anekdote war der Vorfall mit den Schokoriegeln: wir kauften 4 Snickers zu je 10 Rupien. Als Surya das erfuhr, lief er zum Händler zurück und verlangte den überzahlten Betrag zurück, weil der Typ uns die Riegel zu teuer verkauft hatte. Das Gehirn ist ein plastisches, flexibles Organ, es verändert sich gemäß seiner Beanspruchung. Unter dem Dauerfeuer der Impulse bahnten sich »Erlebnispfade« durch das Hirn, die uns immer erhalten bleiben. Dieser Mann war so perfekt wie die reinste Natur.
Surya wurde nicht nur unser vertrauensvoller Fahrer, sondern auch Guide, Lehrer, Kartenkäufer, Aufpasser und Vorkoster. Von keinem anderen Menschen erfuhren wir solcherart umfassende Kenntnisse über die indische Kultur, Politik, den Straßenverkehr oder das komplexe Gebilde des Kastensystems, die Unterkasten und ihre Besonderheiten. Wir fuhren durch Uttar Pradesh in die „rosarote Stadt“ Jaipur in Rajasthan. Surya zeigte uns das Taj Mahal, Tempel und Welterbestätten, die ockerfarbenen Palastmauern des Amber Fort, das dreihundert Jahre alte Observatorium und einiges mehr. Das Durchfahren des Landes war für sich genommen, bereits eine abenteuerliche Reise.
Der Straßenverkehr bildete eine gleichzeitig gottlose wie unnatürliche von keiner Evolution vorausgesehen oder eingegliederten Barriere. Beeindruckend waren alte klapprige Inder, die die Straße überquerten. Sie schritten behäbig voran, streckten den Arm mit der offenen Hand dem anarchischen Blechhaufen entgegen, als könnten sie damit Lawinen stoppen, in einer stoischen Erhabenheit, wie manche sie bei Jedi-Rittern verortet. Mitten auf der Straße wurden Motoren von Trucks ausgebaut, während ölige Mechaniker unter den Bergen von schlickigen schwarzen Metallteilen des Wagens irgendwas zu improvisieren versuchten. Männer, Frauen und Kinder waren in Tuktuks gepresst, zusammengerängt, saßen aufeinander oder hingen außen am Gestänge, beladen mit Einkaufstüten, gegenüber am Rinnstein eine alte Frau, die Müll in ein eisernes Wägelchen sammelte. Viele Männer hingegen schienen im Entspannungsmodus und lagen herum wie abgeschossenes Vieh auf Textilballen, einfach irgendwo auf dem Boden, an Wände gelehnt, auf Plastikstühle gelümmelt, über ihre Motorräder gestreckt, auf Karren hockend räkeln sie sich lässig, locker, beinahe gockelig, palavernd mit einem Gebiss, in dem noch zwei, drei Zähne steckten, derart schief und gelb, als stammten sie aus der Zeit der Phönizier.
Das Leben entlang der Strecke zeigte sich in seinen buntesten Farben, als wir dutzende von Pilgern passierten. Grelle Saris, leuchtend gelb, scharlachrot, Pfirsichorange und alle hervorstechenden Neontöne, die man sich denken konnte. Singende Gläubige tanzten und farbenfroh geschmückte Traktoren mit hölzernen Anhängern akzentuierten die illustre Gesellschaft, während viele Schornsteine in den Hirsefeldern am Straßenrand vorbeizogen. Hier wurden in kleinen Fabriken Ziegelsteine von Hand fabriziert und in den hundert Öfen gebrannt. Das war wieder ein Beispiel unglaublich niedriger Arbeitslöhne, welche die indische Gesellschaft am Laufen halten und kennzeichnend für die Landbevölkerung waren. Spät am Abend auf dem Weg nach Jaipur war mit der Plötzlichkeit eines Mannes, der während des Abends unheimlich nüchtern wirkt und kurz darauf unheimlich betrunken zu randalieren beginnt, ein Heuschreckensturm über uns losgebrochen. Millionen von etwa 4 cm großen Heuschrecken ballerten durch die Luft und knallten gegen die Karosse des Wagens. Surya meinte, wir sollten die Seitenscheiben geschlossen halten, denn diese Unzahl an Zikaden bekäme man unmöglich wieder aus dem Wageninneren.
Gelegentlich kam uns auf der Autobahn ein Geisterfahrer entgegen, was hier als normal und ziemlich indisch zu bezeichnen war. Jede Gesellschaft, jedes Land hat offensichtlich seine eigene Normalität. An einer Art Autobahnraststätte stoppte Surya. Wir tranken einen Lassi und kauften den Kindern Snickers. Als Surya erfuhr, das wir für einen Riegel 100 Rupien bezahlt hatten, stürmte er zum Händler, machte ihn zur Schnecke und brachte uns das zuviel bezahlte Geld zurück und entschuldigte sich für seinen dreisten Landsmann. Überhaupt waren diese Rasthäuser ein besonderes Erlebnis. Wir hatte in einem, in traditionellen Farben und Mustern ausgekleideten Gastraum ein außergewöhnliches Mittagessen, das Surya für uns bestellt hatte und was ein Geschmacksfeuerwerk auf den Zungenknospen entfachte. Drei Frauen backten Roti-Brof in tönernen Töpfen über dem offenen Feuer und in der Küche standen handgetriebene Kupfertöpfe in allen Größen und Formen auf Regalen und Ablagen, die Gäste saßen an bemalten Holztischen. Die Zutaten für die Mahlzeiten wuchsen hinter dem Haus, im Garten oder auf den Feldern. alles wurde frisch zubereitet.
Später, an einer Kreuzung hatte ich für wenige Minuten keinen Gurt angelegt. Ein Verkehrspolizist sah das und stoppte unseren Wagen. Wolken in der Gestalt von Fäustlingen zogen rasch vorbei und unsere Gesichter glänzten vom Schweiß, während eine laute Diskussion zwischen Surya und dem Beamten über die Notwendigkeit eines Sicherheitsgurts begann. Am Ende wechselten ein paar Scheine den Besitzer, die in eine Hemdtasche des Beamten übersiedelten.
Jaipur war eine Poesie der Apokalypse. Fremd und abstoßend aber gleichzeitig faszinierend und fesselnd. Eigentlich konnte man sagen, es handelte sich um ein sympathisches Irrenhaus, das ständig im alltäglichen Wahnsinn eingefangen war. Wir riefen ein Taxi, um in das Zentrum gefahren zu werden. Der Fahrer fragte wohin, worauf wir ahnungslos mit dem Finger blind auf einen Flecke in der Karte tippten. Der Taxifahrer nannte seinen Preis und wir stürzten in neue, spannende und ungeahnte Eindeckungen, als wären wir die ersten gewesen, die bemerkt hätten, dass die Welt rund sei. Jungen Menschen berührten die Alten zur Begrüßung an den Beinen oder Füßen, was eine Form der Ehrerbietung darstellte. Ständig wurde man angesprochen, weil irgendwer irgendwelche Angebote anzupreisen hatte. Die Straßen waren geradezu Brutstätten von Offerten. Ein jeder Händler versuchte seinen Nachbarn zu übertrumpfen.
Diese Tage in Indien, gemeinsam mit Surya, waren so mirakulös, wie aufputschend, aufwühlend und relaxend, ein Dasein zwischen Raubrittertum und Hängematte. Hier waren weder Mut noch Wahnsinn gefragt. Hier war keine Brücke von der man springen konnte, sondern einfach nur der Kreisverkehr, den man lebend bis zur anderen Seite erreichen musste. Eine fantastische Erfahrung.